Megaloh:
Album : Regenmacher
Der Regenmacher trägt Hoffnung in sich. Er kann den Menschen Glück bringen, Blüte in Zeiten
der Dürre, neues Leben, wo lange keines war. Er weiß, dass er scheitern kann – und dass er
gerade deswegen den Glauben an seinen Erfolg aufrecht erhalten muss. Mit seiner Musik ist
der Berliner Rapper Megaloh selbst zu einer Art Regenmacher geworden. Nun erscheint sein
neues Album. Das hat, wie ein Sommergewitter nach drückender Schwüle, das Potenzial, all
den Staub und Schmutz der letzten Monate wegzuspülen. Den Blick auf die Essenz zu klären.
Und den Weg frei zu machen für eine tatsächlich neue ära im deutschen Hip-Hop.
Flashback August 2015. Es ist ein heißer Abend in Berlin-Moabit. Durch die gekippten Fenster
dringt sommerfaules Straßenleben. In der Studioetage von Sound-Engineer Sascha 'Busy'
Bühren aber sind alle hoch konzentriert. Megaloh und sein musikalischer Wegbegleiter
Ghanaian Stallion sitzen tief gebückt über ihren Laptops. Neue Mixe werden diskutiert,
Tracklisten hin und her geschoben, Features erwogen. Den Gold- und Platinplaketten, die die
Wände pflastern, all den Andenken an Meilensteine der deutschen Musikgeschichte, schenken
sie keinerlei Beachtung. Die beiden sind, nach fast 20 Jahren harter Arbeit, womöglich selbst im
Begriff, einen solchen zu setzen. Es ist der immer wieder magische Moment, in dem sich
tausend Einflüsse, Ideen, Zweifel und durchgemachte Nächte zusammenfügen zu einem
großen Ganzen. Und womöglich zu etwas ganz Großem.
“Regenmacher” ist das zweite Major-Album des Berliner Rappers Megaloh. 2013 hatte er nach
Jahren der enttäuschten Erwartung eine musikalische Heimat im NESOLA-Umfeld von Max
Herre gefunden. Das Album “Endlich Unendlich” bedeutete in vielerlei Hinsicht einen Neustart.
An die Stelle steter Experimente trat ein konzises Klangbild, irgendwo zwischen gut
abgehangener Traditionspflege und zeitgemäßem Post-Neo-Soul. Textlich zeigte sich ein
gereifter Mann von Anfang 30, der mit offenem Visier und klarem Blick seine Vergangenheit und
Gegenwart aufarbeitete. Ein Berliner mit Wurzeln in Nigeria, im Widerstreit der Identitäten und
Realitäten. Nicht weiß, nicht ganz schwarz. Gesegnet mit vielleicht mehr Talent als jeder andere
MC in diesem Land, aber jeden Morgen auf Maloche. Aufgezogen von der Straße, geprägt von
den Büchern seiner Mutter und den großen Geschichtenerzählern aus Amerika wie Nas oder
Jay-Z.
All das thematisierte Megaloh mit ungekannter Offenheit und der natürlichen Autorität eines in
jeder Hinsicht “echten” MCs. Da stand einer, der nicht nur mit seiner Stimme und seiner
Sprache umzugehen wusste. Da stand auch einer, der weiß, wovon er spricht. Einer, bei dem
jedes Wort Bedeutung hat, weit über die Ebene des Autobiografischen hinaus.
“Endlich Unendlich” ging in die Top 10 der deutschen Albumcharts. Die Kritik war entzückt und
die Kollegen auch. Megaloh arbeitete mit so unterschiedlichen Künstlern wie Samy Deluxe,
Seeed, Schwesta Ewa oder den Stieber Twins. Er drehte Videos in Lagos und im Berliner Yard.
Er spielte mit der Deep-Funk-Band Tribes of Jizu und der Afrobeat-Legende Tony Allen. Er
spielte unplugged mit Max Herre. Er spielte mit der halben deutschen Rapelite auf dem Splash!
Festival. Er spielte, spielte, spielte. Und mit jedem Auftritt wuchs er als Künstler, bis er da stand
wie ein Koloss in einem Kindergarten namens Deutschrap voller Klatsch und Klick-Tricks und
sinnloser Kabbeleien.
So hat sich Megaloh einen einzigartigen Status in der Szene erarbeitet. Megas Mucke fühlt
jeder. Die Rap-Connaisseure, die ungläubig seine Reimketten und Sinnbilder studieren. Die
Jungs am Block, die seinen alltäglichen Kampf nachvollziehen können. Die hippen Mädchen in
den Berliner Clubs, die seine YouTube-Kulthits auswendig können. Vor allem aber fand “Endlich
Unendlich” Anklang bei ganz normalen Menschen, die nur zu gut verstehen, wenn Megaloh von
der Knochenmühle der harten körperlichen Arbeit berichtet, von den damit einhergehenden
Selbstzweifeln, von dem Gefühl, plötzlich der Vater anderer Menschen Kinder sein zu müssen.
Megaloh: “Ich war Zeit meines Lebens darauf fixiert, der beste Rapper zu sein. Ich wollte immer
Respekt als MC. Die wichtigste Erfahrung von ‘Endlich Unendlich’ war für mich, dass Musik
noch viel mehr sein kann als das: ein Ventil für einen selbst und eine Stütze für andere
Menschen. Viele Leute sind zu mir gekommen und haben gesagt, dass ihnen Songs wie ‘Loser’
oder ‘Vaterfigur’ wahnsinnig viel gegeben haben. Dass sie an einem Tiefpunkt in ihrem Leben
waren und meine Musik ihnen geholfen hat, sich da rauszukämpfen. Das war eine krasse
Erfahrung. Ich habe zum Beispiel einen Kollegen, der inzwischen fast Invalide ist. Seine Tochter
musste schon mehrmals an den Stimmbändern operiert werden. Die beiden pumpen immer
meine Mucke und erzählen mir, dass es ihnen dadurch besser geht. Ich will mir nicht anmaßen
zu glauben, dass ich die Welt verbessern kann. Aber wenn ich einen kleinen Beitrag leisten
kann, dann ist das für mich viel wertvoller als jedes technische Lob.”
Dieser Rolle wird Megaloh mit “Regenmacher” erneut gerecht. Noch mehr aber paart er seine
Verantwortung als Bezugsperson mit dem Drang, als MC zu wachsen; Rap als narratives
Vehikel, aber eben auch als Kunstform zu begreifen; höchste technische und inhaltliche
Maßstäbe zu vereinen. “Mit diesem Album schließt sich für mich ein Kreis. Zu Beginn meiner
Karriere stand vor allem der Anspruch an mich als Rapper. Bei ‘Endlich Unendlich’ ging es dann
darum, eine Geschichte, meine Geschichte zu erzählen. Mit diesem Album bringe ich beide
Aspekte zusammen. ‘Regenmacher’ ist spielerischer als das erste Album. Es hat einen
ähnlichen thematischen Faden, aber die noch besseren Reimen.”
Schon mit dem Opener und Titeltrack wird dieses Konzept greifbar. “Sie fragen mich: Kann ich
inzwischen von der Mucke leben? / Könnt mir noch immer um vier Uhr morgens im Bus
begegnen / Sie fragen mich, ob das Bild, das ich ihnen grad mal’ zu schwarz ist / Abgeturnet
von den Sparauflagen wie Varoufakis.” Der über-MC ist wieder im Tunnel. Und am Ende dieses
Tunnels flackert das Licht der Hoffnung.
Einem ähnlichen Gedanken folgen Songs wie “Alles anders” (mit Labelchef Max Herre), “Was
ihr seht”, “Ernte Dank” (mit Chartstürmer MoTrip und Sänger Maxim) oder das tatsächlich
himmlische “Himmel Berühren”. Sie alle thematisieren, mehr oder weniger explizit, den
Zwiespalt zwischen Starstatus und Alltag.
Auf “Schlechter Schlaf” und “Graulila” dagegen besingt Megaloh die Dunkelheit zwischen
diesen Tagen, aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. “Schlechter Schlaf” (mit einem
umwerfenden B-Teil von Joy Denalane) reflektiert die Pein scheinbar unendlicher Stunden unter
der Decke des Drucks. Und “Graulila” gibt sich den eitlen Hoffnungen hin, die sich speisen aus
dem Nebel der Nacht und der Macht der Betäubung. Mit schwindelerregender
Selbstverständlichkeit wechselt Megaloh zwischen einem mechanischen Erzählflow aus der
Vorhölle der eigenen Psyche und verhallt-melodischem Post-Trap. Dazwischen ist auch die
Stimme von Tua zu hören, aus einem Paralleluniversum aus vergilbten Fantasien und
enttäuschten Farben.
Das ist die wahre Stärke des Megaloh von 2015: dass er Geschichten nicht nur erzählt, sondern
sie in mitreißende Musik zu übersetzen weiß. Musik, in der so unterschiedliche Featuregäste
wie Patrice, Jan Delay, die Berliner Sängerin Grace und der Leipziger Dancehall-Don Trettmann
ganz natürlich Platz haben. So wird der Regenmacher einmal mehr zum Brückenbauer. Zum
Vermittler zwischen Ernst und Eskapismus, Tiefe und Tanz, dem was war und dem was
vielleicht niemals wirklich kommen wird.
Geprägt ist “Regenmacher” zudem von einer öffnung vom Privaten ins Politische. Besonders
deutlich wird dies auf dem Song “Wohin”, der die Flüchtlingsthematik aus der wichtigsten und
doch so oft vergessenen Perspektive beleuchtet: der eines Migranten selbst. “Wohin” verzichtet
auf Dozieren und wohlfeiles Anprangern. Vielmehr stellen Megaloh (dessen Mutter im Biafra-
Krieg Ende der sechziger Jahre selbst zur Flüchtenden wurde) und sein Feature-Partner Musa
einen fiktiven, aber konkreten Menschen in den Vordergrund, seine Sorgen und Fragen. Der
Songtitel sagt eigentlich alles – auch wenn das Leid letztlich unbeschreiblich bleibt.
“Es war mir wichtig, Position zu beziehen. Es hat mittlerweile ja jeder eine Meinung in dieser
Frage. Aber die wenigsten beschäftigen sich ernsthaft damit. Ich bin überzeugt, dass noch viel
mehr Leute insgeheim eine ‘Das Boot ist voll’-Einstellung mit sich herumtragen. Wenn sie aber
wüssten, dass ihre Handys ohne afrikanisches Erz nicht klarkämen oder was mit all den
Hühnerabfällen passiert, nachdem wir die Brust und die Schenkel für uns reserviert haben,
würden sie sicher anders über viele Dinge denken und nicht zu leichtfertig abfällig über
‘Wirtschaftsflüchtlinge’ reden. Ich meine, wie weit muss man sein, um freiwillig seine Familie zu
verlassen und sich dem auszusetzen, was an den Grenzen Europas passiert? Wir investieren
Milliarden in die Abschottung. Wenn wir diese Milliarden in andere Dinge investieren würden,
müssten viele Menschen wahrscheinlich gar nicht erst von zu Hause weggehen.”
Der Bezug zur spirituellen Heimat Afrika ist auch auf musikalischer Ebene offenkundig. Unter
die vertrauten Versatzstücke aus Jazz und Funk, die harten Drums und warmen Basslines, die
elegante Orchestrierung, mischen sich immer wieder Samples aus Nigeria und Ghana. Darunter
ist auch eine bislang unveröffentlichte Aufnahme der bereits erwähnten Schlagzeuglegende
Tony Allen. “Der afrikanische Einfluss war mir sehr wichtig”, so Megaloh. “Die Identitätsfrage hat
schon meine Jugend sehr geprägt. Und als ich 2012 in Nigeria war, habe ich wieder eine sehr
starke Verbundenheit gefühlt und viel Vertrautes wahrgenommen: Gerüche, Klänge,
Stimmungen, aber auch Gefühle und Haltungen. Es hat sich mir plötzlich sehr viel erschlossen,
obwohl ich nur so kurz da war. Deswegen wollte ich den Gedanken der Diaspora auf dem
Album auch musikalisch umsetzen.”
Ghanaian Stallion, der – unterstützt von KAHEDI (Max Herre, Genetikk, Joy Denalane) und
Farhot (Haftbefehl, Selah Sue, Patrice) – den Großteil des Albums produziert hat, geht noch
einen Abstraktionslevel weiter: “Uns ging es generell darum, verschiedene Dinge zusammen zu
bringen, wie es zum Beispiel die TDE-Crew seit Jahren tut. Eine Fusion aus alten und
modernen Elementen. Ein klassischer Rhodes-Sound und dann Max Herre auf Autotune dazu.
Ein warmer Soul-Sound und dann 808-Drums drunter.”
So treffen triumphale Trap-Vibes auf melancholische Livebläser und von KAHEDI eigens
eingespielte Samples. Drums aus dem Plattenschatz von Ghanaian Stallion knistern unter
Versatzstücken aus Soul, Jazz und Afrobeat. Der Regenmacher schreitet stet nach vorne. Doch
er tut es auf der Traditionslinie von James Brown, Fela Kuti, Nas, den Soulquarians und
Kendrick Lamar.
Die stille Hip-Hop-Liebeserklärung “Zug” ist ein gutes Beispiel für diese musikalische Vision.
Auch “Wer hat die Hitze” oder “Zapp Brannigan” sind es. Sie sind nur vordergründig
Fingerübungen eines überdurchschnittlich Begabten. Wie immer bei Megaloh geht es auch in
den Style-Momenten um Kontext, um Verbindung, um Ausblick. Ein Moabiter Volkstribun mit
globaler Perspektive. Ein Mann, der seine Identität daraus bezogen hat, dass ihm niemand eine
geben wollte. Ein Künstler mit einer außergewöhnlichen Gabe, der keinen Hehl aus der ganz
und gar gewöhnlichen Möglichkeit des Scheiterns macht – und seinen Mitmenschen dadurch
Hoffnung bringt.
“Was ich an der Figur des Regenmachers immer faszinierend fand, ist, dass er aus aufgeklärter
Sicht ganz natürlichen Parametern der Natur unterworfen ist. Dennoch trägt er Verantwortung
und die Möglichkeit eines besonderen Erfolges in sich. Er hat eine spezielle Macht, die sowohl
im Glauben seiner Mitmenschen an ihn als auch in seinem eigenen Glauben an sich selbst liegt.
So geht es mir in gewisser Weise als Künstler. Und so geht es allen anderen Menschen letztlich
auch.”
Davide Bortot, 2015
2016 - das Jahr des Regenmachers. Mit „Lass Laufen“ lässt MEGALOH sein musikalisches Jahr Revue passieren und bedankt sich bei seinen Fans unter anderem für den treuen Support, eine unglaubliche Tour und Platz 2 in den deutschen Albumcharts für sein Album „Regenmacher“. Ob auf eigener Tour, zahlreichen Festivals, der Reise mit Viva Con Agua nach Uganda oder zuletzt als Special Guest auf der Advanced Chemistry Tour von den Beginnern – 2016 war ein Jahr mit vielen Erlebnissen und Ereignissen. Mit seinem Album „Regenmacher", das im März diesen Jahres veröffentlicht wurde, begibt sich MEGALOH nicht nur auf eine aussergewöhnliche künstlerische Reise - die er zuletzt mit seiner Afrobeat EP mit Legende Tony Allen fortsetzte - sondern zeigt unter anderem eine textlich richtungsweisende Perspektive auf. Die Fans kennen seinen Weg von der Doppel- zur Trippelschicht - ab April ist er dann wieder für seine Fans live unterwegs und setzt die Regenmacher Tour mit Zusatzterminen fort. |